Donnerstag, 7. Juni 2012

Habana inside

La Habana fühlt sich immer mehr wie Heimat und immer weniger wie Urlaubsort an. Das liegt vor allem an der Routine, die ich hier schon habe. Jeden Tag um acht gibt es Frühstück in der Casa Particular, das mir der Vermieter, Erik, selber macht. Dann beginnt um neun mein Spanischunterricht, den mir seine Freundin, Rosalita, gibt. Der Unterricht dauert bis halb eins, dann dusche ich, zieh mich an und werde von meiner neuen Schwiegermama Kireina abgeholt und wir fahren nach La Palma, einen Vorort von Habana. Dort wartet mein kubanischer Boyfriend Obebi (ich schreib den Namen sicher falsch aber egal) und die restliche Familie auf mich und dann wird gekocht, getrunken und abgehangen. Falls sich jemand fragen sollte, warum ich nach 3 Tagen schon einen Boyfriend habe: ich wurde nicht gefragt, das wurde beschlossen. Da ich das alles wahnsinnig lustig und absurd finde, habe ich mich dazu entschieden, einfach mitzumachen. Ich habe Kireina gleich am ersten Abend kennengelernt, als ich mir ein Eis im Cafe um die Ecke holen wollte. Sie saß mit ein paar Freunden am Tisch und trank Bier und sie haben mich zu sich eingeladen. Ich bin bis nach Mitternacht geblieben, obwohl ich da noch wirklich kaum zusammenhängende Sätze herausbrachte. Mittlerweile spreche ich nur noch Spanisch, es ist unglaublich, wie schnell ich lernen kann, wenn ich motiviert bin. Leider bin ich das ja fast nie. Kireina hat mich zur Geburtstagsfeier ihres Hundes Canabis am Samstag eingeladen, damit ich das richtige, kubanische Leben kennenlerne, abseits von dem Touristenkram. Als sie am nächsten Tag mitbekommen hat, dass ich mich mit einem jungen Mann aus der Nachbarschaft für den Abend verabrede, ist sie gleich energisch eingeschritten und meinte, das geht so nicht, der ist viel zu hässlich, ich müsse unbedingt morgen zu ihr Mittagessen kommen, weil ihr Sohn sieht viel besser aus. Und da man so ein Angebot schwer abschlagen kann, bin ich am nächsten Tag mit ihr per Sammeltaxi eine halbe Stunde lang in den fast schon ländlichen Vorort La Palma gefahren. Dort gibt es keine kolonialen Häuser mehr, dafür Bananenpalmen und tropische Blumen. In Kireinas Haus gibt es zwar kein fließendes Wasser, dafür richtige Betten, in kubanischen Wohnungen keine Selbstverständlichkeit, wie ich früher schon gelernt habe. Als ich den Sohn dann gesehen habe, bin ich halb in Ohnmacht gefallen, weil er natürlich schweinegeil ist, so wie fast alle Kubaner halt. Er hat mich zuerst 2 Stunden lang komplett ignoriert, was in Kuba ein klares Zeichen dafür ist, das jemand auf dich steht. Währenddessen haben Mama und Tante abwechselnd auf mich eingeredet, wie toll er nicht ist. Dann kam die aktive Flirtphase (ich glaube das ignorieren dient dem Spannungsaufbau) und im Flirten sind die Kubaner so unglaublich lustig, also vermutlich für Europäer zumindest, weil sie so Flirten, wie man es eigentlich nur aus ganz schlechten, leicht schmuddeligen 60er-Jahre-Liebesfilmen kennt. Nämlich mit zuzwinkern, Kussmünder zuwerfen, Arm um die Schulter legen, etc. Dabei sind sie aber todernst und machen das alles mit einer ultracoolen Gangsterattitüde. So auch Obebi, und nach ein paar Stunden dachte ich mir dann, naja, wenn das jetzt alle hier so glücklich machen würde, wenn ich mit ihm schmuse, wieso dagegenstellen? Wieso nicht mal ein, äh, Opfer zum Wohle aller bringen? Nun fahre ich täglich raus, um mir meine Portion kubanische Realität zu holen. Gestern war ich zum ersten Mal auf einer Party. Also nicht in einer Disco sondern privat. Als erstes musste ich mich vor einen Santeria-Altar (die traditionelle Religion neben Katholizismus in Kuba) knien, 3 Euro für das Geburtstagskind herschenken und dann mit einer Glocke über lauter grellbunten Kuchen bimmeln. Dann dachte ich, man bietet mir einen Stuhl an, in Wahrheit war es aber irgendein religiöses Dings, das ich mit meinem Arsch entweiht habe. Aber zum Glück fanden es alle lustig. Fast die ganze Zeit bin ich dann neben der Tanzfläche gesessen und hab den Gästen beim tanzen zugesehen. Man kann es sich nicht vorstellen, wenn man es nicht erlebt hat. Kubaner beim Tanzen sind das schwulste, was es gibt auf der Welt. Erstens tanzen fast nur die Männer. Zweitens ziehen sich alle das Tshirt aus, es tanzen Alte und Junge, Muskulöse und Dicke. Und dann tanzen sie, als ob sie Geschlechtsverkehr haben würden, mit zuckenden Unterleibern, kreisenden Hüften, zum Teil schmeissen sie sich auf den Boden, jung wie alt, völlig egal. Ich bin ständig zwischen völlig verblüfft und todlachen geschwankt. Aber sinnlos es zu beschreiben, man muss es wirklich gesehen haben. Mein Boyfriend hat natürlich am ordinärsten von allen getanzt, was mich mit großem Stolz erfüllt hat. Nach der Party gab es noch ein vegetarisches Abendessen für mich, auch wenn ich den Eindruck habe, sie halten mich alle für völlig bescheuert, weil ich kein Fleisch esse. Sie erzählen das auch immer neuen Leuten, denen sie mich vorstellen und dann lachen alle. Aber ich finde es ja eh sehr schön anderen eine Freude zu bereiten.

Sonntag, 3. Juni 2012

Habana, mon Amour

Man verzeihe mir die einmonatige Schreibpause aber in Kuba ist es leichter sich stündlich neu zu verlieben als ins Internet zu gehen. Internetzugängen gibt es nur in Hotels und die sind so langsam wie in den 90ern und so teuer als würde jede Email auf Büttenpapier handgeschrieben werden. Da vergeht einem schnell die Lust überhaupt noch irgendetwas mit der Außenwelt zu kommunizieren. Ganz davon abgesehen, dass ich in der Sekunde, in der ich den Fuss auf kubanischen Boden gesetzt habe, mein vorheriges Leben völlig vergessen habe. Eigentlich fing es schon mit dem ersten Blick auf die Insel vom Flugzeug aus an. Ein helltürkises Meer, ein paar kleine, verstreute Atolle aus weißen Sand, ein paar Puffwölkchen darüber und sonst nichts außer blauer Himmel. Irgendwann taucht dann in einer Nebelschwade plötzlich das gewaltige Festland auf mit seinen satten, schweren Tropenwäldern und den rostroten Tabakfeldern. Ich weiß nicht genau, was es so anders macht. Ich war ja nun doch schon in ein paar tropischen Ländern. Aber nichts sieht wirklich vergleichbar aus. Vielleicht ist es die fehlende Werbung. Es gibt im ganzen Land keine Werbung außer die der Regierung für sich selbst. Patria o Muerte, Hasta la Victoria Siempre, das ganze Kasperltheater eben.  Und selbst die besteht nicht aus gedruckten Plakaten sondern aus Wandmalereien. Jeder Reiseführer vergleicht einen Kubabesuch nach spätestens 10 Sätzen mit einer Zeitreise in die 50er und dem ist auch wirklich so. Selten drängt sich postmoderner Tand wie neue Protzautos oder Reggaeton-Musik ins Bewusstsein aber darüber freut man sich dann eigentlich genau so wie man sich im Westen über Nostalgisches freut. Die Leute jedoch sind genau so gekleidet wie überall, zumindest die, die es sich leisten können. Glücklicherweise ist es sehr heiss und  schwül und darum haben alle nur ganz wenig an. Das mag in Österreich eine traurige, schlimme Sache für alle Beteiligten sein, in Kuba hingegen möchte man jeden Tag auf blutenden Knien in die Kirche rutschen und Gott für die Erfindung des Unterleiberls und der spanischen Kolonisierungspolitik danken. Die Kubaner sind nämlich das schönste Volk auf Erden. Gut, ich war noch nicht überall und habe bestimmt nicht alle ethnischen Gruppen dieser Erde optisch studiert. Aber ich halte es für völlig ausgeschlossen, dass es irgendwo anders noch besser sein kann. Beinahe jeder, egal welches Alter, hat einen Adoniskörper. Ich bin mir nicht sicher, ob das an erblicher Veranlagung, harter körperlicher Arbeit oder viel Zeit für Sport und Spiel liegt. Aber selbst die 60jährigen schauen aus wie bei uns nur 20jährige McFit-Junkies aussehen. Die 12jährigen Kinder übrigens auch. Ich hab (geschätzte) 8jährige mit Sixpack gesehen. Und als ob das alleine schon nicht genug Demütigung wäre, ist jeder Dritte auch noch so schön, dass man sich eine SEHR ernsthafte Beziehung vorstellen könnte. Bei jedem Zehnten fällt man einfach in Ohnmacht. Aram, mein Cousin, mit dem ich in Kuba war, sind eine Woche lang hauptsächlich spazierengegangen und haben uns die schönen Menschen angesehen. Ich habe mir zum ersten Mal in meinem Leben keine Kirche in einer fremden Stadt bewusst angeschaut. Oder sonstige Sehenswürdigkeiten. Wir waren zwar auf der Habana Biennale aber an die erinnere ich mich zum Glück kaum noch. Die war nämlich eine Unverschämtheit und eine Beleidigung an alle Kunstinteressierten mit Gehirn. 160 Euro haben wir für die Tickets gezahlt, um dann Selbstgebasteltes vorgesetzt zu bekommen, dass bei uns nicht mal die Aufnahmsprüfung in den Volkshochschulkurs bestehen würde. Natürlich kann man das Kunstverständnis eines völlig anderen Kulturkreises nicht mit dem eigenen gleichsetzen. Aber ich finde doch, dass es universale Regeln gibt, wie zum Beispiel sorgsamer Umgang mit dem Material oder intelligente Konzepte und die haben bei dieser Biennale offensichtlich niemanden interessiert. Ich kann nur spekulieren, ob es damit zu tun hatte, dass nur Parteitreue ausstellen durften. Wahrscheinlich. Ich habe gelesen, dass die international erfolgreichen, richtig guten Künstler in Kuba so anonym wie möglich leben, weil sie sonst ihr ganzes Geld dem Staat geben müssen und für Propagandazwecke benützt werden. Insofern macht es Sinn, dass keiner von denen auf der Biennale zu finden war. Natürlich gab es auch internationale Künstler, sogar Hermann Nitsch und Marina Abramovitch waren dabei. Aber, ich glaube nach 3 Tagen, haben wir aufgegeben und uns nur noch den wahren Schönheiten dieses Landes gewidmet. Dazu zählt untere anderem auch die eklezistische Architektur Havannas. Und hier auch wieder das Gleiche. Ich hab mir ja erwartet, dass es eine schöne Stadt ist. Aber ich hab mir nicht erwartet, dass es SO eine schöne Stadt ist. Man nehme Barockarchitektur, französischen Klassizismus, spanische Kolonialarchitektur, kommunistische, absurde Protzbauten und ein bisschen Miami/Palm Springs-Style aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, schmeisse alles in einen Topf und schütte noch ein bisschen extra Pastellfarbe drüber und würze es mit Meer und Palmen und voila: La Habana! Vieles ist schon zerfallen und schwer renovierungsbedürftig aber so abgewrackter Ruinenschick lässt das gemeine, europäische Herz sowieso immer höher schlagen. Architekturruinen sind die röhrenden Hirsche der 00er Jahre. Dazu kommt noch, dass die meisten Autos in Havanna Oldtimer sind, die in Europa ein Vermögen kosten würden und die man wenn, dann sowieso nur auf Sonderveranstaltungen oder im Museum sieht. Hier sind sie die Standardautos. Nachdem ich jetzt zum ersten Mal in einem Chevrolet dringesessen bin, weine ich diesem Automodell hinterher. Wie unglaublich viel Platz man darin hatte! Das war kein Autofahren, das war wie eine Fahrt auf einem Sofa. Natürlich vom Benzinverbrauch und von der Platzbeanspruchung her eine Katastrophe aber jaja, blablablabla. Statt dass jeder ein hässliches, kleines, viel zu enges Auto hat, wäre ich für Chevrolets, die man sich teilt. Der allerschönste Mann, den ich in Kuba gesehen habe, war übrigens der Taxifahrer eines solchen Modells. Ein riesiger, dunkelblauer Chevy mit absurden Heckspoilern. Und dann sitzt noch ein Mann am Steuer, gegen den Brad Pitt ein Klobesen ist. Nun mal genug für heute. Morgen erzähl ich dann von Aram und Mariannes lustigen Abenteuern. Jetzt muss ich in die Stadt. Ich bin nämlich gerade zum zweiten Mal in Habana angekommen.